Die Filialkirche St. Sebastian

Nienberge

Es gibt keine schriftlichen Zeugnisse über den Zeitpunkt der Gründung der Kirche und den Umfang der Pfarrei. Kenntnisse über die Anfänge ergeben sich indirekt aus Urkunden des 11. Jahrhunderts, aus Bauerschafts- und Hofnamen. Im Zusammenhang mit der Abtrennung von der ursprünglichen Pfarre Berge/Altenberge wird das Kirchspiel „Nigenberge“ erstmalig 1142 genannt. Das neue Kirchspiel war der geistlichen Aufsicht des Stiftes Überwasser unterstellt. Eigentümer des Grundes der Kirche und des Friedhofs blieb über Jahrhunderte die jeweilige Familie des „Hofes Nienberge“, die das Patronatsrecht über die Pfarrerstelle bis zu ihrem Verzicht gegenüber dem Bischof von Münster Michael Keller im Jahre 1958 ausübte.

Das Patrozinium der Kirche

St. Sebastian, dessen Namenstag am 20. Januar gefeiert wird, war ein Opfer der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Diokletian. Er ist in den Katakomben an der Via Appia vor den Toren Roms beigesetzt. Nach der Legende war er ein Tribun der kaiserlichen Garde und wurde wegen seines Bekenntnisses zum Christentum mit Pfeilen beschossen. Er wurde jedoch wieder gesund, aber nachträglich mit Keulen erschlagen. Im Mittelalter genoss er große Verehrung als Pestheiliger und Schutzpatron vieler Schützengilden.

Reliquien des hl. Sebastian könnten von Bischof Robert (1042-1063) aus dem früheren Domschatz an die Neugründung der Kirche in Nienberge geschenkt worden sein; auch ein Reliquiengeschenk der Äbtissin Ida von Überwasser ist denkbar, weil das Stift Überwasser im 11. Jahrhundert diesen Heiligen am Südaltar verehrte.

Mit der Weihe des neuen Altars im Zusammenhand mit der Erweiterung der Kirche am 12.10.1958 wurden die Reliquien des hl. Sebastian (und die des hl. Fabian) erneut bezeugt.

Baugeschichte

Wie die erste Kirche in Nienberge entstand und wie sie ausgesehen hat, ist nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich ist, dass sie, wie die noch vorhandenen Kirchen des Umlandes, ohne Seitenschiffe und mit schmalem Chor erbaut war. Dem romanischen Baustil entsprechend ist davon auszugehen, dass die Kirchendecke flach war und dass die Rundbogenfenster sich dicht unter der Decke befanden.

Der Turm
Ende des 11./Anfang des 12. Jahrhunderts wurde der bis heute erhalten gebliebene kräftige Turm im romanischen Stil an die bestehende Kirche angebaut. Das geschlossene Untergeschoss diente als Wehrturm, als Speicher und Rückzugsort in kriegerischen Zeiten. Die Fenster auf der Südseite wurden erst im 19. Jahrhundert angelegt. Die Schallarkaden mit ihren schlichten Säulen, Kapitellen und Halbkreisbögen sind alle unterschiedlich gestaltet. Auch das kleine Rundfenster gehört zum romanischen Bestand. Die Turmuhr befindet sich auf der Süd- und Nordseite oberhalb der Schallfenster. Sie wurde 1904 von der Firma Vortman in Recklinghausen erstellt und ist eine fein gearbeitete große Pendeluhr mit Gewichtsaufzug und Viertelstundenschlagwerk. Der spitze Turmhelm aus dem 17. oder 18. Jahrhundert zeigt durch die geschwungenen Übergänge von den Turmecken zum Helm barocke Stilelemente.

Interessant ist auch das Turminnere. Da der Turm selbst keinen Eingang hat, ist er nur über das Kirchenschiff zu erreichen. Das niedrige Erdgeschoss mit dem Kreuzgratgewölbe dient heute als Taufkapelle. Die Treppe führt durch das dicke Mauerwerk des Turmes zu einem gewölbten Raum, auf die Ebene der Empore, der zum Kirchenschiff geöffnet ist und in dem ein Teil der Orgel untergebracht ist. Die drei weiteren Geschosse bestehen aus hölzernen Fachwerkgerüsten. Die Glockenkammer befindet sich im obersten Geschoss, darüber ist der Turmhelm.

Das Kirchenschiff
Mitte des 15. Jahrhunderts setzte im Münsterland trotz vieler Nöte durch die Soester Fehde (1444/49) und die münsterschen Stiftsfehde (1450/57) eine lebhafte Bautätigkeit ein. Romanische Kirchen wurden im Bauverlauf schrittweise durch spätgotische ersetzt. Die Kirche blieb ständig für den Gottesdienst nutzbar. Zunächst wurde der romanische Chor mit der Apsis, danach das Kirchenschiff und zuletzt der Turm abgerissen und erneuert. Oft endeten die Bauvorhaben aber schon aus finanziellen Gründen nach dem Chorneubau oder nach dem Neubau des Kirchenschiffs zwischen Turm und Chor. So blieb z.B. auch der romanische Kirchturm in Nienberge unangetastet.

Auch gibt es für Nienberge leider keine Belege über den Beginn und das Ende der spätgotischen Baumaßnahmen. Lediglich der Schlussstein im Chorgewölbe mit der Jahreszahl 1499 ist ein Zeugnis dieser Zeit. Die Dauer der Bauzeit ist hieraus nicht ersichtlich. Aber mit einem Bauverlauf von fast 30 Jahren ist zu rechnen, da die romanische Kirche schrittweise abgerissen werden musste  und ein umfangreicher Kirchenneubau zu errichten war.

Beim Neubau wurde insgesamt die ältere Ausdehnung der einschiffigen Kirche eingehalten. Neben dem Chor gibt es drei Joche, von denen die beiden westlichen Joche breiter sind, als das dritte Joch vor dem Chor.

Das Äußere der Kirche

Bei einem Rundgang um die Kirche lassen sich die einzelnen Perioden der Baugeschichte deutlich ablesen. Die Westseite mit dem romanischen Kirchturm (Ende des 11./Anfang des 12. J.), das spätgotische Kirchenschiff mit dem Chor (um 1499) und die im Jahre 1957/58 durchgeführte Erweiterung der Kirche um zwei Seitenschiffe.

Der Kirchturm wurde zuletzt 1957 renoviert. In diesem Zusammenhang wurde der graue Zementputz beseitigt und das schöne Bruchsteinmauerwerk restauriert und zum Teil ergänzt. Der romanische Baustil und die Bausubstanz blieben unangetastet.

Um die Kirche herum und teilweise in der Kirche wurden die Nienberger bis zum Jahr1847 beerdigt. An die ehemals ansässigen Adelsgeschlechter erinnert eine jetzt fast völlig verwitterte Grabplatte am Turm. Am nördlichen Chorstrebepfeiler ist eine kleinere Grabplatte eingelassen, die den Tod des am 07.04.1573 verstorbenen Schulte Renlo van Bispinck (Schulze Relau) belegt.

Die Bruchsteinmauern des Kirchenschiffes sind aus hiesigem Kreidesandstein, während die Ecken und die Strebepfeiler mit den Gesimsen und Quadersteinen mit Baumberger Sandstein gestaltet sind.

Die Strebepfeiler wirken wie Ornamente, dabei sind sie statisch notwendig, denn sie verstärken die Außenwände und fangen somit die Last des Daches und der Gewölbe im Innern auf. Das umlaufende Gesims unter den Fenstern ist nicht nur Schmuck, sondern dient gleichzeitig als Regenabweiser. Am Sockel befinden sich noch Schrägen. Die Steinformen in den spitzbogigen gotischen Fenstern sind  besonders hervorzuheben. Die schwingenden Kreisformen (Fischblasen) und das Profil der Stäbe aus Hohlkehlen unterstreichen den spätgotischen Stil.

Die letzte Außenrenovierung erfolgte 1985/86.

Im Süden befindet sich nach einem Rückbau aller außen liegenden Windfänge im Jahre 2012 wieder ein gefälliges Hauptportal mit Mittelstütze und  Gewänden aus Sandstein im spätgotischen Stil.

Die neuen Portaltüren aus Eichenholz wurden im barocken Stil nach einem Foto aus dem Jahre 1911 rekonstruiert.

Nach den Plänen des Architekten und Diözesanbaumeisters E.M. Kleffner aus Münster wurde die Kirche 1957, bedingt durch das Anwachsen der Gemeinde in den Nachkriegsjahren, um zwei Seitenschiffe und eine neue Sakristei erweitert.  Ziel war es, vom Altbaubestand möglichst viel zu erhalten, Turm und Chor völlig. Das Kirchendach wurde jeweils seitlich verlängert (abgeschleppt), so dass der gotische Bau weiterhin dominiert. Im Grundriss ist die Kirche nun kreuzförmig. Durch die Spitzbogenteilung der Öffnungen im Innern ist der Altbau verhältnismäßig gering verändert. Das Bruchsteinmauerwerk der neuen Seitenschiffe aus den abgebrochenen Kirchenteilen gleicht sich gut an das gotische Mittelschiff an. Nur die neue Sakristei ist aus Backstein gemauert. Die waagerechten Fensterreihen der Seitenschiffe bestehen aus quadratischen Einzelfenstern mit neuzeitlicher Bleiverglasung.

Etwas versteckt befindet sich an der nördlichen Chorwand eine vergitterte Nische, ein sog. Sakramentshäuschen. Hierin befindet sich eine Statue des heiligen Sebastian, die 1985 nach den Entwürfen der polnischen Künstlerin Skomorowska-Willimorski aus Breslau gegossen und am 21.01.1986 aufgestellt wurde. Sehr bewusst hat die Künstlerin an die historischen Darstellungen des gemarterten hl. Sebastian angeknüpft, jedoch einen modernen heutigen Menschen dargestellt und damit an das Martyrium vieler Menschen erinnert.

An der Nordseite der Kirche ist ein Kriegerehrenmal des 1. Weltkrieges (1914-1918 ) zu sehen. Es wurde 1957 hierhin verlegt, als auf dem Kirchplatz durch die Erweiterung der Kirche kein Platz mehr war. Vor dem gefesselten, gepeinigten heiligen Sebastian als Patron der Kirchengemeinde liegt ein sterbender Soldat.

Nördlich der Kirche ist ein Teil des ehemaligen Kirchrings durch die entsprechende Bebauung noch zu sehen. Nach Westen, von der Gräfte umgeben, liegt das Haus Nienberge, wohl der Ursprungsort, von dem aus Kirche und Dorf ihre Entwicklung nahmen.

Sehr beachtenswert ist der auf dem Kirchplatz aufgestellte Doppelbildstock aus Baumberger Sandstein.  Er wurde von dem großen westfälischen Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun im 18. Jahrhundert entworfen. Auf dem wertvollen barocken Kunstwerk ist auf der einen Seite  in feiner Ovalrahmung Christus an der Geißelsäule dargestellt, auf der anderen Seite die Marter des hl. Sebastian. Auf den beiden Inschriftenfeldern sind Gebetstexte eingemeißelt.

Das Innere der Kirche

Im Innern der Kirche hebt sich der alte Teil aus dem 15. Jahrhundert deutlich von der Erweiterung des Jahres 1957 ab. Die einschiffige Halle mit den flachgespannten gotischen Kreuzrippengewölben ist charakteristisch für die Spätgotik. Die Wände sind glatt.

Ein weiteres Kennzeichen des gotischen Baustils ist der Chorschluss, der aus fünf Seiten eines (gedachten) Achtecks gebildet ist. Die beiden westlichen Joche sind viel breiter als das dritte vor dem Chorschluß. Da an dem dritten auch die alte Sakristei im Süden lag, könnte dieses Joch ursprünglich zum Chorbereich gehört haben.

Kreuzrippengewölbe und Spitzbogenfenster beleben den Raum. Die Felder zwischen den Rippen sind weich geschwungen und wie Segel aufgebläht, ein speziell münsterländisches Merkmal. Die Rippen selbst enden in einem Schlussstein. Zwei der Schlusssteine sind als offene Ringe gearbeitet, während ein mittlerer mit einer Rosette aus Blättern geschmückt ist. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient der Schlusstein über dem Altarraum, der das Gewölbe zusammenhält. Er zeigt den Patron der Kirche, den hl. Sebastian. Daneben ist in arabischen Zahlen die Jahreszahl 1499 sichtbar. In diesem Jahr wurde wohl die Kirche fertiggestellt.

Im nicht verengten Chorraum stützen sich die Gewölberippen auf Säulen, sonst enden sie auf Konsolen mit Laubkapitellen. Die vier Konsolen vor dem Chorbereich sind figürlich gestaltet.

Auf der Nordseite sitzen ein geduckter Mönch, der mit dumpfen Blick seinen Kopf nach oben wendet, und ein dümmlich dreinschauender Dudelsackpfeifer. Auf der Südseite kauert nachdenklich ein Geistlicher oder Gelehrter mit Doktorhut, daneben ein Narr mit Schellenkappe, der die Flöte bläst und auf die Trommel schlägt. Alle haben die gleiche tragende und geduckte Haltung; sie wirken wie ins Komische gewendete Atlanten, auch sind sie deutlich als törichte Figuren charakterisiert. Es sollen mit den Gestalten Lebensweisen dargestellt werden, die im Gegensatz zum christlichen Leben stehen.

Auf der Suche nach ähnlichen Schalksfiguren wird man nur in der münsterschen Servatiikirche fündig, die älter als die Nienberger Kirche ist und in der früher die Jahresversammlungen der Nienberger Kalandsbruderschaft stattfanden.

Ein "Kirchenführer" ist in der Kirche oder im Pfarrbüro Nienberge erhältlich.